James-Story. Klassische Novelle

von

Peter Kasser

Blumen

© 1995, HEINRICH Verlag & Vertrieb Schweiz, ISBN 3-9520796-1-8



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James hatte mich schon ein paarmal zum Essen eingeladen. Er kochte wirklich hervorragend und abwechslungsreich.
"Das habe ich von meiner Mutter selig gelernt," vertraute er mir während des Essens an. "Wir wohnten damals in Victoria und besassen eine grosse Farm - aber schon als kleiner Junge verspürte ich eine Abneigung gegen die Arbeit im Freien. Mich zog es immer ins Haus. Am liebsten war mir die Küche. Ich liebte es über alles, meiner Mutter beim Kochen zuzuschauen. Oh, sie war eine unübertreffliche Köchin! Jeden Handgriff beherrschte sie perfekt. Und aus jedem noch so einfachen Essen verstand sie eine fürstliche Mahlzeit zu bereiten. Sogar zur Erntezeit, wenn wir viele zusätzliche Arbeiter einstellten, kochte sie wie für eine vornehme Gesellschaft. Sie hätte wirklich eine vortreffliche Köchin in einem Erstklasshotel abgegeben. Ganz bestimmt hätte sie das!"
Seine Grosseltern, erklärte er, stammten aus Polen. "Vornehme Leute waren sie, glaub mir, Lawrence! Von nobler Abstammung und gehobener Bildung!" Ihre Ahnen, so James, befänden sich auf einer Linie mit dem englischen Königshaus; sogar Nelson tauche, wenn er sich recht erinnere, irgendwo auf einem Nebenast in ihrem Stammbaum auf.
"Und nur wegen dieser wirtschaftlichen Not, die damals herrschte, und der unsicheren politischen Zukunft wegen liessen sie sich, sehr gegen ihre eigentliche Neigung, zu dieser Reise nach Australien überreden - von der sie ja dann leider nie mehr zurückkehren sollten. Sie haben Polen nie wiedergesehen. Dabei - so hat es mir gegenüber jedenfalls meine Mutter selig immer wieder betont - gehörten sie auch politisch zu den aufgeschlossensten Familien, indem sie die geforderten Landreformen als eine der ersten befürworteten. Ja, sie gingen noch weiter und haben, stell dir das vor, sogar Kartoffeln gratis an die Bauern verteilen lassen!"
In einem Seitenfach seines Geldbeutels trug er zwei glitzernde, blankpolierte Sixpence-Münzen mit dem Portrait Georg VI auf der Kehrseite. "Bemerkst du die Ähnlichkeit?" fragte er begierig, indem er seinen Kopf zum direkten Vergleich leicht abdrehte. Eine ernsthafte Antwort auf die Frage schien er zum Glück nicht zu erwarten. "Das erinnert mich übrigens an einen lustigen - oder soll ich eher sagen: bezeichnenden Vorfall, der mir vor ein paar Jahren mit jener alten englischen Lady widerfuhr, die mich auf meinen edlen, würdevollen Gang aufmerksam machte, wie man ihn sonst nur innerhalb der königlichen Familie noch beobachten kann. Und weisst du, was ihr aufgefallen war, Lawrence? Dass ich beim Schreiten die Fussspitzen deutlich nach aussen kehre! Schau, so!" Er stand auf und schritt mit tatsächlich weit nach aussen gekehrten Fussspitzen durch das Wohnzimmer und in die Küche hinaus - um sogleich wieder zurückzukehren und sich beifallheischend zu erkundigen: "Hast du es gesehen?"
Nicht zuletzt traf offenbar den Vater eine grössere Teilschuld am Fall der Familie in den grauen bürgerlichen Alltag.
"Er mit seinem Rebberg, der doch nichts abgab! Die halbe Zeit rackerten wir uns nur für den ab! Du kannst dir gar nicht vorstellen, Lawrence, wieviel Arbeit so ein Rebberg bedeutet! Und der Profit, den wir jeweils Ende Jahr daraus schlugen, deckte kaum die laufenden Kosten! Ach, mein Vater war ein seltsamer Mann! Er liebte seinen Rebberg über alles, und nichts mochte ihn bewegen, ihn aufzugeben. Dabei, stell dir vor, hatte man ihm sogar einen Posten in der sozialistischen Partei angeboten! Kannst du dir das vorstellen, Lawrence? Überleg doch mal: mein Vater hätte ohne weiteres Parteipräsident werden können! Und eines Tages wäre er vielleicht Premierminister geworden! Stell dir das einmal vor! Dann wäre ich vielleicht selber gross herausgekommen, dann würden wir heute in einer Villa leben! Hein, Lawrence, was sagst du dazu? Wir zusammen in einer Villa!" James kicherte. Es war ein gnomenhaftes, fast gespenstisches Kichern - zweifelsohne kamen ihm lustige Einfälle in den Sinn, diesem James!



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