RENZ oder Die Reise nach Kukaburu. Tagebuch eines Aussteigers

von

Peter Kasser

Blumen

© 1995, HEINRICH Verlag & Vertrieb Schweiz, ISBN 3-9520796-0-X



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"Ich sagte dir ja, du findest ihn im Bett!" Ismael und Albert!
"He, Renzie, was machst du um halb zwei eigentlich noch im Bett?"
Ich vergrabe meinen Kopf im Kissen.
"Das ist unglaublich! Schläft dieser Faulpelz doch tatsächlich bis um halb zwei!"
Schon recht, schon recht, ich hab's gehört, es ist halb zwei, brauchst es nicht zweimal sagen!
Ich hieve meinen Kopf aus den Kissen. "Bin gestern spät ins Bett!"
Albert nähert sich mit seinem wulstigen Grinsen zwischen Schnurr- und Barthaaren, und mit den boshaft leuchtenden Äugchen mitten im struppigen Gesicht. Irgendwie sieht er aus wie einer der sieben Zwerge aus Schneewittchens Märchen.
Was stimmt nicht mit halb zwei? Ist doch 'ne tolle Zeit! Die Hälfte des Tages verschlafen - das nenne ich werken! Nächstens versuche ich mich an zwei Dritteln! Zuletzt kriegen wir auch noch das Ganze hin!
"Ich habe dir eine Liste der benötigten Zutaten mitgebracht," spricht der Zwerg und setzt sich auf den Bettrand.
Zutaten? Für exotische Gerichte? Welch seltene Kräuter mischt er wohl in seine sagenumwobene, märchenhafte Kost?
"Ranthir hat sie zusammengestellt."
Ranthir, der Inder! Der schwebende Geist hinter den fernen, dunstigen Bergwäldern! Herrscher über Zwerge und Feen, Hüter der Sagen - Verwalter von funkelnden Schätzen - der Träger urzeitalter Rezepte feinster, erlesenster Speisen! "Ich grüsse Ranthir!" spreche ich feierlich und reibe meine verklebten Augen.
Der Zwerg klaubt einen zerknitterten Zettel aus der Jackentasche und glättet ihn auf seinem Hosenbein aus. "Wahrscheinlich hast du ohnehin das meiste, was wir brauchen," meint er. "Schau dir die Liste an. Wenn was fehlt, können wir es gleich einkaufen gehen."
"Gib sie Ismael, der kennt sich hier besser aus."
"Was?!" ruft Ismael in gespielter Entrüstung und nähert sich zwei Schritte.
"Ich bin doch hier nicht zu Hause!"
"Fühlt euch zu Hause. Nehmt ihr Kaffee? Die Küche steht zu eurer freien Verfügung."
"Du meinst, wenn wir Kaffee wollen, müssen wir uns selber welchen brauen."
Ismael grinst, er lenkt ein: auf ihn kann ich mich verlassen.
Der Zwerg steht auf. "Komm, Ismael, gehen wir die Liste durch."
Seltsam der Zwerg heute: sehr kooperativ. Ist überhaupt ein seltsamer Tag.
Die beiden gehen in die Küche, machen Inventar; Ismael spült Gläser.
Ich stehe auf, ziehe meinen Baderock an und breite die Bettdecke über dem Bett aus.
Ein guter Tag, sonnig und warm. Ich mache Musik, ergreife mein Badetuch. Ein friedlicher, milder Tag.
In der Küche hat Ismael Wasser zum Kochen aufgelegt. Drei Krüge stehen bereit, in jedem befindet sich Kaffeepulver.
"Ich gehe mal schnell unter die Dusche. Ich sehe, ihr kommt auch ohne mich zurecht."
Ismael grinst. Er grinst immer, wenn er mir etwas nachsieht.
Albert dreht sich um. "Hast du keinen Safran?"
"Safran? Nein, ich glaube kaum."
Ich trete hinaus und wandle wie im Traum nach hinten, gegen den Hinterhof zu. Die Dusche ist frei. Ich trete ein, verriegle die Tür, ziehe den Baderock aus; ich stelle mich unter die Brause, drehe das Wasser an.
Brrrr! heute erlebe ich alles wie durch einen Schleier. Hatten wir Alkohol gestern? Mein Kopf ist in Ordnung - nur die Glieder sind schlapp.
Es ist gut, Freunde zu haben. Sie wecken einen am Morgen (Nachmittag) auf und brauen Kaffee, während man duscht - ohne sie wäre ich heute wahrscheinlich überhaupt nicht aufgestanden.
Ich schüttle mich aus, schüttle mich wach. Puh! welcher Tag. Welcher Nachmittag! Das Leben fliesst an mir ab - wie das Wasser in das runde Abflussrohr - wie der Dampf, der aus dem Fenster zieht...



Albert und Ismael haben eine Einkaufsliste zusammengestellt.
"In Ordnung?" fragt Albert.
Ich werfe einen Blick drauf. "Sicher!"
"Wenn du willst, kann ich die Einkäufe gleich selber besorgen. Es bringt ja nichts, wenn wir alle in der Stadt herumrennen, wenn es auch einer allein besorgen kann."
"Sicher - völlig deiner Meinung."
"Dann beginne ich gleich heute Nachmittag und bringe alles hierher - morgen können wir uns dann die Kosten teilen."
"Okay."
"Schön; also dann, bis später. Kommst du auch gleich, Ismael?"
Ismael beginnt wieder zu grinsen. "Ich glaube, ich bleibe noch für eine Partie Schach." Er fühlt sich plötzlich sehr zu Hause.
Albert verabschiedet sich. Ismael geht ins Wohnzimmer und stellt die Schachfiguren auf. Ich schlürfe Kaffee.
Auch der Kaffee weckt mich nicht. Heute bin ich Pappe. Heute bin ich Leinen, das in der Luft flirrt. Ich fühle mich irrelevant - wie der schwarze König, den Ismael vom Boden aufhebt und in sein Feld stellt - wie der Turm, den er in die Ecke rückt, oder die Bauern, die er an die Front schiebt - wie eine beliebige Figur, mit der man spielt, die man gebraucht, verschiebt, einsetzt, riskiert, verliert...
"Oh, übrigens!" - Ismael schreit, um die Musik zu übertönen, die er aufgelegt hat: "Saïd sagt, er werde über die Sommerferien ebenfalls heimgehen. Er will auch etwas in Malaya herumreisen. Er will an die Ostküste, und in den Norden bis an die Grenze zu Thailand."
"Hm!"
"Was sagst du?"
"Ich sagte," schreie ich, "nichts!"
"Das wäre doch ideal für dich!" schreit Ismael zurück. "Saïd kennt sich gut aus in Malaya. Und sicher wäre auch er froh, einen Reisegefährten zu haben."
"Wo kommt er eigentlich her?"
"Von Malakka."
"Ah!"
Mein Kaffee ist alle. Und meine Füsse frieren. Der Kachelboden ist eisig kalt.
Ich gehe ins Wohnzimmer und stelle meine Füsse auf den grünen Spannteppich und schaue zu, wie Ismael die letzten Figuren auf ihre Plätze weist.
"Du bist grossartig. Du organisierst meine Reise praktisch von A bis Z, ohne mein Zutun..."
"Ich weiss!"
"...bist du derart versessen darauf, mich loszuwerden?"
"Im Gegenteil! Ich verliere ungern einen Freund!" Er wird verlegen. Das Schach ist aufgestellt, und er hat nichts mehr zu tun. "Bist du bereit?" fragt er mich. "Dann spielen wir eine Partie."
"Okay. Ich mach mir bloss noch etwas mehr Kaffee. Willst du auch noch eine Tasse?"
"Ja, gern."
Zurück in die Küche, auf den kalten Fussboden. Wasser. Elektrischer Siedekrug. Krüge waschen.
Klopf-klopf! Besuch kommt.
"Herein!" Kaffeepulver in die Tassen.
Die Küchentür öffnet sich. "Hallo, jemand zu Hause?" Fanny streckt den Kopf herein. Sie sieht zuerst Ismael im Wohnzimmer ("Hallo, Ismael!" - "Hallo, Fanny!"), dann mich hinter der Küchentür: "Hallo, dort! Stör ich?"
"Nein, du störst nicht, willkommen!"
Zucker in die Tassen. Das Wasser siedet noch nicht.
"Was machst du denn im Morgenrock, mitten am Nachmittag?" Breites, höhnisches Grinsen ihrerseits. Sie nähert sich mir wie eine Katze.
"Hab mir eben die Haare gewaschen."
Sie klemmt mich in die Seite. "Machst dich hübsch für deine Freundinnen, was?"
"Welche Freundinnen?"
"Grosser Gott, woher soll ich das wissen? Deine Freundinnen eben, die du zu einer Tasse Kaffee einlädst!" Sie zwinkert mir zu und gibt mir mit der Hüfte einen Schubs in die Seite. Das Wasser kocht. So hatten wir uns kennengelernt. Üble Erinnerung.
"Nimmst du auch eine Tasse?"
"Okay." Wieder ihr konspiratives Grinsen. Sie will ins Wohnzimmer.
"Warte, trag diese Krüge da rein." Ich schenke das Wasser ein. "Milch hat's im Kühlschrank - falls es noch welche hat."
"Ich trinke meinen Kaffee ohne Milch. Oder hast du vergessen?"
"Ismael nimmt Milch."
"Oh, Ismael nimmt Milch!" Sie geht zum Kühlschrank.
"Was ist?" ruft Ismael aus dem musikerfüllten Wohnzimmer.
"Nimmst du Milch in deinen Kaffee?" ruft Fanny zurück.
"Ja, gern!" schreit Ismael.
"Und ich ebenfalls," füge ich hinzu. "Oder hast du vergessen?"
"Flegel!"
Zucker. Wieviel war das? Ich sollte Würfelzucker verwenden. Mit Pulverzucker hat man keine Übersicht.
Wasser. Milch hat's schon.
"Würdest du uns Löffelchen bringen, Lawrence?"
"Ja!"
Ja-ja, Löffelchen! Löffelchen abwaschen, Löffelchen abtrocknen. Löffelchen hineintragen. "Da!"
"Danke!"
"Bitte!"
Sie haben ein Partie Schach begonnen - gut so. Sie schwatzen - ich höre nicht hin. Sie fragen, ich antworte - ich weiss nicht, was.
Ich bin Nebel. Etwas stimmt nicht. "Ich geh mir eine Omelette braten."
Ja, Martin abgereist. Glücklich? Ja, jetzt allein. Haushalten. Kochen.
Bratpfanne. Butter.
Zwiebeln: im Kühlschrank, bereits geschnitten.
Eier.
Es fühlt sich kalt an. Und dennoch auf eine spezielle Art warm.
Die Form des Eis ist perfekt. Kein Ei gleicht dem anderen, aber jedes Ei besitzt eine perfekte Form - nicht rund wie bei einer Kugel, sondern tropfenförmig - eiförmig.
Welche Harmonie! Jedesmal verschieden - und doch so absolut harmonisch!
Ich will Harmonie. Ich will absolute Harmonie - Harmonie ist das einzige, was ich will.
Gott, gib mir Harmonie - und ich folge dir, wohin immer du willst.
Eier sind gesund. Ich schlage es am Schüsselrand auf - zwei, drei.
Salz. Pfeffer. Etwas Curry. Keine Tomaten im Haus. Gut rühren. In die Bratpfanne. Kleine Flamme. Teller abwaschen.

*

 



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